Donnerstag, 8. Dezember 2011

Die drei Wirtschaftskreisläufe oder auch Robinson kann helfen


Absage


bleib allein
an der Börse
unterm Dach
des Dax

ich
bin keine Aktie
steige nicht
falle nicht

ich gehe 
zurück zu
weisen Eulen
und verstopfe
meine Ohren
dem Sirenenlied
deiner Kröten





(gekürzt)

Bürgerliche Ökonomen versuchen oft eine Milchmädchen-Wirtschafts-Erklärung, bei der auch der um wenig Ecken Denkende sagt, ja, das versteht er. Sie verkürzen dabei die abstrakten Zusammenhänge von Kapital und Gesamtwirtschaft auf das hübsche Bild von Robinson Crusoe. In vielen komplizierten Beziehungen geht das nicht, weil die nur existieren, indem so viele Handelnde im Wirtschaftsprozess auftreten, dass die einzelnen nicht direkt wissen und beeinflussen können, was aus ihren Produkten wird bzw. wie ihre gekauften Waren zu ihnen kommen. Aber wir haben ja Fantasie, um für uns etwas aus dem künstlerischen Bild zu machen.

Ich durfte viel von Karl Marx lesen. Sein produktionsfixiertes Denksystem hatte dabei Vor- und Nachteile. Das kommt auch in seinem Hauptwerk „Das Kapital“ zum Ausdruck: Die Welt, die er zu erklären versucht, rankt sich um den Begriff der „Ware“. Dies reicht zwar aus, um einen Kapital-Ismus mit seiner Herkunft und seinem Niedergang zu erklären, aber nicht für die Einordnung des (entfalteten) Kommunismus. Dafür muss jeder Klassenhorizont verlassen werden. Also alles, was Warenwirtschaft erklärt, wie Tauschwert oder „abstrakte Arbeit“. In der kommunistischen Welt gibt es nämlich nur noch eine Vielzahl konkreter Arbeiten.

Man kann die „Wirtschaft“ in drei Arten von Kreisläufen unterteilen.
Der innerste ist der elementare oder Robinson-Kreislauf: „Der Mensch“ als konkretes Einzelwesen hat Bedürfnisse, die zu befriedigen sind und die er selbst kennt und befriedigen möchte, einen natürlich vorgegebenen Zeitfonds, in dem er dies kann und muss, und eine gesellschaftliche Qualität dieses Zeitfonds. Selbstverständlich sind auch die Bedürfnisse selbst gesellschaftlich bestimmt. Sie erwachsen nur zum kleineren Teil „der Natur“, zum größeren dem, was er kennt. Also die frühen Menschen, die die Nutzung des Feuers nicht kannten, fraßen, womit sie ihren Hunger stillen konnten. Sie hätten mit Messer und Gabel nichts anfangen können, schissen bestimmt neben dem Fressplatz und es gab nichts, wo und warum sie hätten Staub wischen können. Wie sauber jemand heute seine Wohnung haben möchte, ist unter anderem auch ein kommunikatives Problem. Es erwächst eben auch aus dem Grad der Peinlichkeit, wenn Besucher „Sau“ mit Fingern aufs Regal schreiben (könnten). Und das konnten die Höhlenbewohner noch nicht.

Der konkrete Mensch Robinson hatte von der Natur der Erde pro Tag 24 Stunden zur Verfügung gestellt bekommen, Jahreszeiten u.Ä. sowie die Aussicht des Todes. Welche Bedürfnisse er dazwischen wann und in welchem Umfang befriedigt, kann er im Wesentlichen frei entscheiden. Allerdings werden einschränkend die Därme Forderungen stellen, wann sie entleert werden wollen, und der Magen, der gefüllt werden will, und noch einiges ganz Existenzielles mehr. Mit jeder Entscheidung für das eine zu befriedigende Bedürfnis fällt gleichzeitig die Entscheidung gegen (fast) alle anderen. Wer also seine Zeit braucht, um etwas zu fressen zu bekommen, kann nicht gleichzeitig „speisen“ oder Musik zum Feiern machen.

Die „gesellschaftliche Qualität“ dieses Zeitfonds ist klar. Was wäre der berühmte Robinson gewesen ohne die Flinte und technischen Geräte, die er aus dem Schiff hatte retten können? Was wäre er gewesen ohne das mitgebrachte Wissen seiner Zeit – beispielsweise zur Haltung von Haustieren? Sein klar umrissener Kreislauf Bedürfnisse – Entscheidung – eigene Produktion – Befriedigung – neues Bedürfnis prägte sofort auch sein Denken. Es gab ihm die Macht, den Freitag, der nicht über ähnliche technische Mittel verfügte, in ein Werkzeug für seine Bedürfnisbefriedigung zu verwandeln, ihn für sich arbeiten zu lassen.

Dieser elementare Kreislauf ist natürlich zutiefst beschränkt. Man kann ihn geistig von einzelnen Personen auf konkrete Gruppen erweitern, womit man das „urkommunistische“ Prinzip vor Augen hat: Die Gruppe als Ganzes kennt die Bedürfnisse aller ihrer Mitglieder und befriedigt sie nach vorhandenen eigenen Möglichkeiten. Im Prinzip verselbständigen sich nur die arbeitsteiligen Abläufe, die jeder Mensch sonst allein für sich entschieden hätte. So wie Robinson für sich (ohne Freitag) entschieden hatte, welcher Arbeitsgang wann wie viel Zeit „kosten darf“ (indem diese Zeit anderen Arbeitsabläufen vorenthalten wird), so entscheidet dies nun die Gruppe. Neu dabei ist, dass nun natürlich Bedürfnisse parallel bearbeitet werden können. Der Grundsatz aber bleibt: Die Mitglieder einer Gruppe arbeiten so arbeitsteilig wie die Organe eines menschlichen Körpers. Sie akzeptieren naturwüchsig, dass sie alle ihre Bedürfnisse kennen und gemeinsam ihre Möglichkeiten nutzen, so gut es geht viele ihrer Bedürfnisse zu befriedigen.

Dieser Herangehensweise ist der kommunistische, der DRITTE Wirtschaftskreislauf ähnlich. Auf wesentlich höherer Ebene wissen „alle“ Menschen um den Effekt ihrer Entscheidungen für sich und die Anderen. Wie das funktionieren kann, konnten Marx und Engels nur erahnen, wodurch sie zu missdeutbaren Schlussfolgerungen kamen. Sie verabsolutierten die für ihre Verhältnisse überwältigenden Springquellen produktiven Reichtums, die den Kommunismus kennzeichnen würden. Also einfach gesagt: Weil genug da sein würde, alle Bedürfnisse zu befriedigen, können alle Bedürfnisse befriedigt werden. Ein solcher Denkansatz war der stürmischen Entfaltung der Produktion / Produktivität in den vorausgegangenen 200 Jahren (im Vergleich zur gesamten Menschheitsentwicklung bis dahin) geschuldet.

In der Realität kommt aber mindestens ein entscheidendes Element dazu: Die Gesellschaft, in gewissem Sinne die ganze Menschheit, verfügt inzwischen endlich über ein handhabbares Instrument, die Bedürfnisse aller ihrer Mitglieder zu erfassen („zu kennen“) und im Sinne ihrer direkten Befriedigung zu wirken (und natürlich im Sinne einer bewussten Minimierung ausufernder unsinniger Bedürfnisse). Die technische Grundlage für ein solches Konstrukt scheint mit dem „Internet“ gegeben: Im Prinzip kann schon heute jeder Mensch dieser Erde sich an seinen Computer setzen, sich in eine gigantische virtuelle Bedürfniszentrale einloggen und kundtun, welche Bedürfnisse er befriedigt zu bekommen hofft. Indem er dies öffentlich machte, machte er auch Forderungen öffentlich, derer er sich schämen müsste.

Allerdings hebt das Wissen, dass einzelne Menschen sich heute wirklich unverschämte Wünsche erfüllen, weil sie dazu die Mittel haben, heute noch den Nutzeffekt auf. Warum sollte sich einer beschränken, wenn es der andere auch nicht tut? Es geht mir hier aber auch nicht um die tatsächliche Machbarkeit im Augenblick, sondern darum, dass es bereits technische Mittel gibt, mit denen so etwas möglich wäre. Alle Produktion im weitesten Sinn könnte „wieder“ direkt an den erfassten und bewerteten Bedürfnissen ausgerichtet werden. „Man“ KANN wissen, warum man was macht … Trotz des entscheidenden Unterschieds, dass der urgesellschaftliche „Wirtschaftskreislauf“ ungeheuer klein war und inzwischen scheinbar unüberschaubar groß geworden ist. Das wird im Kommunismus wahrscheinlich dadurch gelöst, dass jeder sich in die Klärung jeder Frage von gesellschaftlicher Bedeutung einschalten kann, aber nicht jeder sich für jede Frage interessiert, sodass sich „Kerne“ von Fachleuten zusammenfinden werden.

Das Wissen, was für welches und wessen Bedürfnis getan wird, ging mit fortschreitender Teilung der Arbeit, vor allem der Verselbständigung der geistigen Elemente des Arbeitslebens, allmählich verloren. Die Wirtschaftsbeziehungen, die sich dabei durchsetzten, kann man „klassenbildend“ nennen. Ihre höchste Ausprägung haben sie im „Kapitalismus“: Beziehungen der Warenwirtschaft, die Marx analysierte. Sie haben im Vergleich zu den beiden anderen „Kreislauf-Arten“ einen einschneidenden Unterschied: Es ist ein von den eigentlichen letztendlichen Bedürfnissen zu unterscheidender „innerer“ Wirtschaftskreislauf entstanden, der Kreislauf der „(Tausch-)Werte“. Seine gesamten Gesetze berühren menschliche Bedürfnisse als Ursprung allen menschlichen Handelns nur noch indirekt. Er beruht darauf, dass die Menschen, die etwas tun, was eigentlich Bedürfnisse befriedigen soll, diese Bedürfnisse nicht kennen. An deren Stelle sind die „gesellschaftlich anerkannten“ Bedürfnisse getreten, also die „bezahlbaren“.
Tausende bezahlte Wünschelrutengänger beschwören die Möglichkeit, dass das freie Spiel der chaotisch wirkenden Kräfte einen Ausgleich zwischen Produktion und Konsumtion herstellte. Trotzdem verhungern Millionen Menschen auf der Erde, weil sie nicht in Besitz von allgemeinem Äquivalent kommen, weil sie keine Arbeit (vorfinanziert) bekommen, um etwas in dem großen Kreislauf Verwertbares einzubringen.

Das System Kapitalismus kann das Problem der Bedürfnisbefriedigung im Weltmaßstab nicht lösen, sondern nur jeweils beschränkt auf Teile dieser Welt, die sich auf Kosten des Rests vollsaugen. Es ist richtig: Das System hat in seinen Glanzecken besser funktioniert als die Ansätze des Sozialismus. Aber die Unerfüllbarkeit von Bedürfnissen einer „Überschussmenschheit“ ist Bedingung des ganzen Systems – es wechselt im Höchstfall, wer zur Gruppe eben dieser „Überschussmenschheit“ gehört. Im Wesen der Planung eines kommunistischen Versorgungssystems liegt die beständig steigende Annäherung an die umfassende „Vollversorgung“.

Wesen und Erscheinung der Vorgänge der (kapitalistischen) Warenwirtschaften sind durch Marx nicht nur in „Das Kapital“ schlüssig dargestellt. Ich beanstande ja nur, diesen Übergangsfall menschlicher Entwicklung so darzustellen, als begänne alle Wirtschaft mit Waren. Das war Hunderttausende Jahre nicht so und wird – vorausgesetzt, die Menschheit übersteht die Presswehen der neuen Gesellschaft – Millionen Jahre nicht mehr so sein. Der zweite „Kreislauf“, der alle Vorgänge über ein abstraktes allgemeines Äquivalent, also das Geld, steuert, verschwindet wie eine abgenutzte Schlangenhaut.

Der Grundwiderspruch, der alle menschliche Entwicklung vorantreibt, ist der zwischen den vorhandenen Bedürfnissen und den realen Möglichkeiten, sie zu befriedigen. Er schließt ein, dass aus jedem befriedigten Bedürfnis ein neues, höheres erwächst. Solange in gesellschaftlichem Umfang nur Teile der Menschheit ihre Bedürfnisse befriedigen können, weil das Produktivkraftniveau nicht mehr ermöglicht, liegt zwischen Bedürfnissen und ihrer Befriedigung ein eigenständiger Kreislauf der Warenwirtschaft. Tendenziell wachsen darin die schmarotzenden Elemente, die erst im Nachhinein als überflüssig erkannt werden können.

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