Dienstag, 4. Oktober 2011

Wortwirrwarr (2) Stalinismus – Leninismus – Marxismus (1)



Man kann alles in sein Gegenteil umkehren allein schon dadurch, dass man Zeitbezug und sachliche Ebene verwirrt. Nach dem Motto „Die meisten Menschen freuen sich auf ein Eis im Sommer – aber kein Mensch freute sich, im Eis stecken zu bleiben“.
Im entfalteten Kommunismus würde jeder Mensch anarchistische Forderungen nach Abbau aller „Macht“ als etwas Selbstverständliches und Natürliches auffassen. Im reifen Sozialismus sind dieselben anarchistischen Forderungen progressiv, treiben die Gesellschaft vorwärts. In einer Übergangsgesellschaft oder im Kapitalismus sind dieselben (!!!) Forderungen entweder reaktionär, insoweit sie auf die Selbstentwaffnung der progressiven Kreise hinauslaufen, oder naiv, da die Kapitalistenklasse als solche aggressiv ist und insofern ein einzelner zur Gewaltlosigkeit bekehrter Kapitalist nur durch andere aus seiner herrschenden Klasse ausgestoßen würde. Es kommt also nicht darauf an, eine Sache (am Beispiel hier den Anarchismus) „an sich“ zu bewerten, sondern sie in die Zusammenhänge einzubetten, in denen sie sich in eine bestimmte Richtung auswirken.
Insofern ist eine gesunde Skepsis im Umgang mit Ismen, besonders solchen, die sich auf den Namen einer einzelnen Person beziehen, immer angebracht. Sie sind von vornherein immer ein Stück unwahr: Jeder Mensch macht Fehler, hat Schwächen, begreift einige der Bedingungen, unter denen sich seine persönliche Sicht entwickelte, nur einseitig oder falsch – so wie jeder Mensch manches richtig sieht und in manchen Situationen richtig handelt. Ismen maßen sich also immer an, eine Person auf die Teile reduzieren zu dürfen, die ihnen, also denen, die diese Ismen als Begriff prägten, gerade ins System passen. Und so kann man unter dem Deckmantel der Berufung auf eine „Größe“ das Wesen von dessen Lehre u.U. in sein Gegenteil verkehren. So wie häufig Zitate aus ihrem Zusammenhang gerissen nicht das aussagen, was sie meinten.

Ich halte eine gründliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen „Stalinismus“ für unbedingt erforderlich für eine letztlich in tatsächlichen Kommunismus führende Gesellschaft. Allerdings ist der Begriff extrem belastet. In seiner Hauptbedeutung ist er ein ideologischer Kampfbegriff übelster Antikommunisten. Mit mehr oder weniger psychologische Rafinesse wurde er geprägt, um einen Pawlowschen Reflex auszubilden: „Stalinismus“ ist „Kommunismus“ und zwar „Kommunismus“ so, wie er in der Wirklichkeit der Machtausübung aussieht. (Wau-wau!) Mit anderen Worten: Die Begriffsprägung „Stalinismus“ ist in diesem Sinn ein Versuch, dem Nachdenken über „Kommunismus“ vorzubeugen, eine Art Schutzimpfung für Denkfaule, deren Unterbewusstsein auf „Kommunismus“ sofort „Stalinismus“ aktiviert – und sich dabei eine Art „Sowjetfaschismus“ vorstellt (bzw. das soll).
Nun ist dialektisches Denken an sich etwas Unbequemes: Immer soll man unterscheiden zwischen Wesen und Erscheinung, wobei aber eben noch zwischen Erscheinungen unterschieden werden soll, die das Wesen außen sichtbar machen, und Erscheinungen, die das Wesentliche „ergänzen“, von ihm abweichen, ihm sogar widersprechen – zumindest auf eine bestimmten Ebene.
Bisher habe ich mich stärker auf die wesentliche Seite konzentriert. Also dass unter dem Druck der durchlebten Interventionen für das Sowjetreich eine besonders militante Verteidigungsform nahe lag, die auch „Auswüchse“ billigend in Kauf nehmen MUSSTE. 

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